Im Tal der alten Mutter

Der 1935 in Ernstthal am Rennsteig geborene Maler Baldur Schönfelder wohnt – abgesehen vom Studium in Erfurt und Berlin – Zeit seines Lebens im Thüringer Wald.

Die tiefe Verbundenheit zu seiner Heimat spiegelt sich auch in seinen   unverwechselbaren Malereien wider. Das Schlossmuseum Molsdorf zeigt vom 30. September bis zum 6. Januar 2019 eine kleine Werkschau des Künstlers.

TOP THÜRINGEN besuchte den 83-Jährigen vorab in Neuhaus am Rennweg. 

Runde, bunte Landschaften im Wechsel der Jahreszeiten, in denen sich Bäume, Blumen, Wolken, Hügel, Häuser und Menschen scheinbar schwerelos bewegen und sich aneinander schmiegen.

Die Bilder an der Wohnzimmerwand spiegeln das Leben des Baldur Schönfelder wider, die tiefe Verbundenheit zu seiner Thüringer Heimat. Die Kunstkritiker nennen es naive und idyllische Malerei. Das ist dem 83-jährigen Rauschebart herzlich egal. Er malt das, was er sieht. „Die Liebe zu meiner Thüringer Heimat“, erklärt er, „ist die Sprache meiner Bilder. Persönliche Erlebnisse und Befindlichkeiten führen meine Hand im Spiel mit den Farben. Ich versuche schlicht und einfach, meine Vorstellungen und Empfindungen darzustellen. Es sind fast immer die leisen Töne, an längst verloren geglaubte Melodien erinnernd, an die Kindheit, an Harmonie.“

Baldur Schönfelder malt trotz gesundheitlicher Probleme noch jeden Tag, als möchte er die Erinnerungen immer wieder zurückholen.

Sie beginnen 1945 in Ernstthal im Thüringer Wald, wo er zehn Jahre zuvor geboren wurde. Der Vater, ein Glasmacher, blieb im Krieg. Baldur Schönfelder ist zehn Jahre alt. Er malt mit Bleistift auf Löschpapier seinen Holzpantoffel. Aus einem Kartonagengeschäft holt er sich die Pappabfälle. Hauptsache er kann malen. Zur Konfirmation wünscht er sich nur eines – Buntstifte.

Die kleinen runden, braunen Augen sind weit aufgerissen, sie leuchten, wenn er erzählt, mit den Händen gestikuliert.   

Er erzählt vom Winter, seiner Lieblingsjahreszeit. Der sei nicht bösartig. Er ist schließlich auf Skiern groß geworden. Und auch wenn manche in den grauen Novembertagen die Gardinen gar nicht mehr aufziehen wollen, hier oben in Neuhaus am Rennweg, damit sie den Nebel draußen nicht sehen. Und auch wenn der unangenehme Westwind Regen und Schnee schräg fallen lässt auf das Plateau, möchte Baldur Schönfelder nie dort leben, „wo es keinen Schnee gibt“.

Deswegen kommt er auch zurück vom Studium der Kunsterziehung in Erfurt Mitte der 50er Jahre und später vom Studium der Musikerziehung in Berlin, obwohl sie ihn gern dort behalten hätten. „Ihr könnt machen, was ihr wollt, ich will wieder auf meinen Rennsteig“, antwortete er den verdutzten Hauptstädtern. Selbst seine Frau Marianna schaffte es nicht, ihn zu einem Umzug in ihre Heimatstadt Dessau zu überzeugen. „Das wäre auch nicht gutgegangen. Ich bin hier sehr schollig.“ Das sei aber keine „Heimat-Tümelei“, er mag einfach die Landschaft, die Menschen, das Wetter.

Und so beginnt er als Zeichenlehrer in Leutenberg im Kreis Saalfeld, ganz in der Nähe zu seinem Heimatort Ernstthal. Als Wanderlehrer zieht er zweimal die Woche über die Dörfer. Dort unterrichtet er alsbald auch Musik. Seine zweite große Leidenschaft. Er engagiert sich in den Chören der Region, wird sogar Ensembleleiter des Röhrenwerke-Chors mit 180 Mitgliedern und leitet einen Kinderchor mit 60 Mädchen und Jungen. Er reist mit ihnen durchs Land und gewinnt Goldmedaillen. 1973 zieht er nach Neuhaus am Rennweg, wo er heute noch mit seiner Frau lebt.

Doch eines Tages macht das Herz nicht mehr mit. Er hat gerne geraucht, immer mal einen gezwitschert, war immer unterwegs. 1985 stoppt ihn sein Arzt. Seinen Beruf kann er fortan nicht mehr ausführen. „Das war ein richtiger Schlag ins Kontor“, erinnert er sich, „zum Glück hatte ich noch die Malerei.“

In all den Lehrer-Jahren hatte er immer einen Skizzenblock dabei, zumeist malte er Landschaften. Jetzt konnte er sich ganz und gar auf das Malen konzentrieren. Das hatte er sich selber beigebracht, autodidaktisch. Die großen Impressionisten wie Monet, Gauguin, van Gogh, Sisley oder Pissarro verehrt er. Anfangs eifert er ihnen nach. Aber schnell entwickelt sich sein ganz eigener, der Schönfelder-Stil. „Mein Stil hat sich aus meiner Intuition entwickelt. Das ist auf meinem Mist gewachsen. Natürlich habe ich mal in ein Buch geschaut und mich zum Beispiel mit dem bekannten Maler Albert Ebert angefreundet.“ 

Statt großer Schinken malt er kleine Bilder mit krummen Bäumen, krummen Häusern. Er möchte provozieren. Das gelingt. Seine Bilder sind der Hingucker auf Ausstellungen. Bis heute hat er an über 50 teilgenommen. 2007 sogar als Vertreter Deutschlands bei der Biennale in Venedig. Er solle doch wiederkommen, bittet man ihn. Das ist ihm aber alles zu viel. Das Reisen, Englisch spricht er nicht, das Auf- und Abbauen… Er hat auch keinen Galeristen. Er winkt ab. Zu schollig eben.

Mittlerweile sind wir im Dachboden des Hauses angekommen. Hier ist sein Atelier. „Unterm Dach bin ich Herr, ansonsten bin ich Knecht“, sagt er schmunzelnd. Hier oben ist er jeden Tag, trotz der gesundheitlichen Schwierigkeiten. Die belasten ihn, aber das Malen hilft und verschafft Freude. „In siebzehn Jahren werde ich 100, bis dahin möchte ich noch malen, wenn ich vorher nicht gestorben bin.“ 

Der Blick aus dem Dachfenster geht hinaus auf seinen so geliebten Thüringer Wald, den Rennsteig, der hier Rennweg heißt. Hinein in das Tal der alten Mutter. Dort wandert er am liebsten und genießt „diesen Frieden, diese unwahrscheinliche Ruhe“.   

Überall stehen und hängen seine „Freunde“, wie er seine Bilder nennt, mit den typischen Schönfelder-Feinheiten wie Hügelchen, Fensterchen, Türchen, Schornsteinchen und Menschlein. Alle trotzen der Gravitation, sie sind teils heiter und humorvoll. Zeigen aber auch Verluste.

Baldur Schönfelder spricht nicht gern über seine Malerei, zu viele Kritiker und sogenannte Experten haben sich daran schon versucht. „Ich male so, weil ich es so sehe. Ich empfinde das so. Wir leben auf einem Hochplateau, malerisch ist das gar nicht so schön, deshalb überhöhe ich die Berge. Ich beschreibe keine heile Welt, aber die Schönheit und das Erhaltenswerte der Landschaft.“ In Klatschmohnrot, Schieferhäuserblau, Rennsteigwaldgrün, Margeritenweiß, Herbstbraun, Schneeweiß. Das sind die Farben seines Lebens, seiner Heimat. 

Mit den Jahren vervollkommnet er seinen Stil konsequent. „Es gibt nichts anderes mehr als Schönfelder und diese Bilder. Die Leute identifizieren mich mit dieser Art der Malerei.“ Entsprechend hoch ist der Wiedererkennungswert.

Und die Bilder sind etwas fürs Gemüt.

Nicht umsonst hängen einige im Kinderherzzentrum Leipzig oder im Krankenhaus in Neuhaus. „Wir können mit Ihren Bildern die Menschen nicht heilen, aber wenn sie nach der Operation in das Zimmer kommen und sehen so etwas Schönes, was denken Sie, wie das hilft“, erklärte ihm ein Arzt. Andere blicken durch die Landschaftsbilder plötzlich ganz anders auf ihre Heimat.

Diese Komplimente sind Baldur Schönfelder viel wichtiger als das „Getöse und gegenseitige Beweihräuchern der Kunstwissenschaftler. In der Kunst gibt es nichts Falsches“, sagt er, „aber es gibt Lüge. Wenn zum Beispiel der Krieg malerisch verherrlicht wird. Dürers Hände dagegen sind ästhetisch nicht schön, aber sie sind deswegen schön, weil sie ein Leben lang gearbeitet haben.“ Ob seine Arbeit Kunst ist oder nicht, interessiere ihn nicht. Entweder es gefällt oder eben nicht. „Glauben Sie nur dem, was Sie sehen“, sagt er zum Abschied.

Sehen können Sie Bilder von Baldur Schönfelder in einer kleinen Werkschau im Schlossmuseum Molsdorf vom 30. September bis zum 6. Januar 2019. Am 29. September ist der Künstler zur Vernissage persönlich vor Ort. Unterhalten Sie sich mit seinen Bildern, machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken.

Nicht mehr oder weniger wünscht sich Baldur Schönfelder.

TOP Service:

www.kunstmuseen-erfurt.de

Abb. Baldur Schönfelder, Große Bergstadt Neuhaus, 2010, Öl

© der Künstler

 

Text: Jens Hirsch

Fotos: Mario Hochhaus